Sein Erbrochenes muss ein Angeklagter nicht aufbewahren

Das Landgericht Augsburg hatte angeordnet, dass ein Angeklagter sein Erbrochenes aufzubewahren und einem Sachverständigen zur Begutachtung zu übergeben habe.

Der Verteidiger des Angeklagten hatte unter Vorlage eines Attestes, die dem Angeklagten eine akute Gastroenteritis bescheinigte, die Aufhebung eines Hauptverhandlungsgtermins beantragt. Diesem Antrag kam das Gericht zwar nach, beauftragte aber einen Sachverständigen mit der Untersuchung des Angeklagten auf seine Verhandlungsfähigkeit. Außerdem wies das Gericht den Angeklagten an, sein Erbrochenes aufzubewahren, damit der Sachverständige dies begutachten könne.

Der Sachverständige untersuchte den Angeklagten, nicht aber dessen Erbrochenes.

Gegen die Entscheidung des Landgerichtes legte der Angeklagte Beschwerde ein und hatte damit auch Erfolg. Das Oberlandesgericht München ist der Auffassung, dass der Beschluss des Landgerichtes Augsburg rechtswidrig ist und hat dies auch recht deutlich formuliert.

Der Beschwerdeführer wurde jedenfalls in seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art 2 Abs. 1 GG) tiefgreifend beeinträchtigt. Dabei ist zu sehen, dass er sich als Angeklagter, gegen den ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl be-steht, dieser Maßnahme nicht entziehen konnte, vielmehr die Vorführung zum nächsten Ver-handlungstermin befürchten musste. Durch die getroffene Maßnahme wurde der Angeklagte entwürdigt und erniedrigt, es war einer der intimsten Bereiche des Angeklagten betroffen. Die Anordnung war getroffen worden, um die mit Attest vom 22.07.2013 bescheinigte akute Gastro-enteritis des Angeklagten zu objektivieren. Eine Untersuchung des Erbrochenen war hierfür nicht zweckdienlich und fand dementsprechend im Rahmen der körperlichen Untersuchung durch den Sachverständigen auch nicht statt. Auch wenn es sich vorliegend weder um eine prozessual überholte Verhaftung noch um eine Durchsuchungsanordnung, zu denen die über-wiegende Anzahl der entsprechenden Gerichtsentscheidungen ergangen ist, handelt, sind gleichwohl die genannten Grundrechte des Angeklagten tiefgreifend berührt, zumal die Anforde-rungen an das Gewicht des Grundrechtseingriffs auch nicht überspannt werden dürfen (BVerfG Beschluss vom 28.02.2013 2 BvR 612/12).

Die am 24.07.2013 getroffene Maßnahme war nicht erforderlich und grob unverhältnismäßig. Die Erkrankung des Angeklagten begann am 20.07.2013, die angegriffene Anordnung wurde bereits am. 24.07.2013 getroffen, also am 5. Tag der Erkrankung des Angeklagten. Ausweislich der Stellungnahme des Sachverständigen Dr. S. vom 29.07.2013 tritt bei derartigen Erkrankun-gen regelmäßig innerhalb von wenigen Tagen eine wesentliche Besserung ein. Hier war jedoch zu berücksichtigen, dass der Angeklagte 79 Jahre alt ist und bereits erhebliche gesundheitliche Vorbelastungen hat. Insofern hätte die Erwägung nahe gelegen, dass eine derartige Erkrankung bei dem Angeklagten auch in Anbetracht der Wetterverhältnisse zum fraglichen Zeitpunkt (schwül und heiß) etwas länger andauern, kann als die üblichen wenigen Tage. Es konnte also noch nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Angeklagte dem Verfahren durch Krankheit entziehen will, und deshalb schon am 5. Tag seiner Erkrankung ein Mindestmaß an Sicherheit hinsichtlich dieser Erkrankung gewonnen werden musste. Ob die Sachlage anders zu beurteilen wäre, wenn sich der Angeklagte mehrere Wochen auf eine solche Erkrankung berufen hätte, war vom Senat nicht zu entscheiden. Jedenfalls war die am 24.07.2013 getroffene Anordnung vom Ermessensspielraum der Vorsitzenden bei der Verfahrensleitung nicht mehr gedeckt, weil sie weder damals schon veranlasst noch auch nur annähernd verhältnismäßig war.

 

OLG München, Beschl. v. 10.09.2013 – 3 Ws 661 u. 662/13

 

Wer die Entscheidung komplett nachlesen möchte, findet sie hier.

 

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