Das Kreuz mit der Pflichtverteidigerbeiordnung

Ich verteidige einen jugendlichen Mandanten derzeit in zwei verschiedenen Verfahren. Dass da noch Verfahren wegen Schwarzfahren laufen, hatte er vergessen zu erwähnen. Als vor zwei Wochen die Anklage kam, rief er an. Also bestellte ich mich und beantragte Akteneinsicht. Die Akte kam dann heute. Und ich sehe, dass er unter laufender Bewährung steht, 10 Monate Jugendstrafe, was er wohl auch bei unseren Besprechungen vergessen hatte zu erwähnen.

Anklage wegen Erschleichen von Leistungen wurde zum Jugendschöffengericht erhoben. Dass es eine laufende Bewährung gibt, hat man auch bei der Staatsanwaltschaft gesehen, denn es steht in der Anklage.

Das Gericht hat es aber trotz offener Bewährung nicht für nötig gehalten, dem Mandanten einen Pflichtverteidiger zu bestellen bzw. ihn darauf hinzuweisen, dass eine Pflichtverteidigung in Betracht kommt weil bei Verurteilung ein Bewährungswiderruf droht und er sich deshalb einen Anwalt suchen soll. Ohne Anwalt ist das sicherlich für das Gericht wesentlich einfacher. Für den Mandanten kann das aber insgesamt ziemlich übel enden.

Hätte er nicht doch noch bei mir angerufen, würde er demnächst ohne Verteidiger vor dem Jugendschöffengericht stehen. Schlimmstenfalls gibt es eine Jugendstrafe. Und dann kommt der Bewährungswiderruf und er fährt erst mal für einige Zeit ein.

Natürlich kann man sagen, dass er daran selbst schuld ist. Man muss aber auch bedenken, dass es sich um einen Jugendlichen handelt. Und gerade dann ist aus meiner Sicht für ein faires Verfahren eine etwas größere Fürsorge des Gerichtes nötig.

6 Comments

  1. Und nu?

    Sind Sie denn jetzt beigeordnet worden?

    Und: in wieviel % der von Ihnen bearbeiteten Fälle läuft das genauso wie hier? Würde mich mal interessieren.

    1. Thomas Will

      Noch nicht. Da der Termin nächste Woche ist, stelle ich den Antrag in der HV. Aber mit der Beiordnung sollte es keine Probleme geben.

      Prozentual gesehen kann ich das schlecht sagen. Gefühlt kommt es aber viel zu oft vor.

    1. Thomas Will

      1. Vor der HV hätte ich sowieso keine Entscheidung, das wäre bereits zeitlich quasi unmöglich.

      2. Sind Richter in der HV meist etwas „großzügiger“ mit der Beiordnung, weshalb ich den Antrag oft erst dann stelle, gerade wenn die Beiordnng etwas auf der Kippe steht und man es so oder so sehen könnte.

  2. Max

    Darf dann, wenn Bewährung widerrufen werden könnte, überhaupt ohne Anwalt verhandelt werden?

    1. Thomas Will

      Natürlich darf dann ohne Anwalt verhandelt werden. Es sei denn Bewährungsstrafe und neue Strafen wären über 12 Monate.

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