Die vergessenen Opfer?

Als ich die Tage beim Frühstück diesen Bericht in der Saarbrücker Zeitung las, hat es ein wenig gedauert, bis mir klar wurde, dass es darin um ein Verfahren handelt, in dem ich verteidigt hatte. Die Sache ist nämlich seit geraumer Zeit bei mir abgelegt. Die Vorwürfe an die Justiz sind mir ein wenig unverständlich. Der einzige, der sich hier Vorwürfe machen müsste, ist die Kollegin. Stattdessen hat sie Staatsanwaltschaft und Gericht mit Dienstaufsichtsbeschwerden beglückt, die jedoch ohne Erfolg blieben.

 

„Weil sie monatelang keinen neuen Sachstand zu den Ermittlungen bekam, beantragte die Anwältin Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft, die ihr daraufhin eine Kopie des Strafbefehls samt Vermerk über dessen Rechtskraft schickte. Hatte die Justiz die Rechte der Missbrauchsopfer schlicht vergessen?“

Nein, hat die Justiz nicht. Dafür hat die Kollegin aber offensichtlich vergessen, dass sie über §§ 406e, 475 StPO zwar einen Auskunfts-, aber keinen Unterrichtungsanspruch hat. Hätte die Kollegin vielleicht einmal die ein oder andere Sachstandsanfrage gestellt, wäre sie unterrichtet worden. Aber dafür muss man halt nachfragen. Die Justiz muss nicht von sich aus die Opferanwältin informieren.

 

Dass die Kollegin mit 25 Jahren Berufserfahrung  einen Strafbefehl „noch nicht einmal gedanklich in Erwägung gezogen“ hat, lasse ich mal so unkommentiert stehen. Mit 10 Jahren Berufserfahrung habe ich da andere Erfahrungen. Es mag zwar nicht die Regel sein, kommt aber doch vor.

Ich frage mich, welche Rechte den Geschädigten hier abgesprochen worden sein sollen. Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche können selbstverständlich immer noch zivilgerichtlich geltend gemacht werden.

„Zudem seien die Auswirkungen der Taten auf die Mädchen nicht berücksichtigt worden, „da sie nicht bekannt waren und bis heute nicht ermittelt sind“. Vielmehr wurde es den Mädchen hier erspart, vor Gericht erscheinen zu müssen. Denn selbst wenn sie nicht hätten aussagen müssen, so hätten sie doch zunächst erscheinen müssen.“

Die – weiteren ? – Auswirkungen der Tat waren der Staatsanwaltschaft nicht bekannt, weil die Opferanwältin die Staatsanwaltschaft darüber nicht in Kenntnis gesetzt hatte. Atteste von Psychologen etc. hätten natürlich zur Akte gereicht werden können und müssen.

Eine Gerichtsverhandlung ist für Geschädigte keine schöne Sache. Schon gar nicht für Kinder.

Zuerst kommt eine Ladung. Alleine das wühlt die meisten Geschädigten schon sehr auf. Verständlicherweise. Man beschäftigt sich wieder mit der Tat. Je näher die Hauptverhandlung rückt, umso schlimmer wird es. Dann muss man vor Gericht erscheinen und wartet, sofern man sich als Nebenkläger nicht in den Saal setzen will, was ich persönlich nie einem Mandanten empfehle, bis man endlich entlassen wird. Das alles sind in der Regel keine schönen Erfahrungen für die Geschädigten.

All dies blieb den Geschädigten erspart. Und genau das war auch Sinn der Übung.

Eine bisschen weniger Stammtisch hätte dem Artikel sicher gut getan.

 

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